- Was versteht man eigentlich unter dem Begriff “gefühlsstark“?
- Wie ist es, ein gefühlsstarkes Kind zu haben und zu sein?
- Alltag mit einem gefühlsstarken Kind
- Warum der Ausdruck „gefühlsstark“ so schön ist
- Der Mythos vom guten Kind und von der guten Mutter
- Und warum möchte ich nun mit meinem gefühlsstarken Kind auf Reisen gehen?
- Mehr zum Thema gefühlsstarke Kinder findest du hier:
Was versteht man eigentlich unter dem Begriff “gefühlsstark“?
Vorneweg möchte ich einmal kurz darauf eingehen, was mit dem Begriff „gefühlsstark“ gemeint ist.
Bei uns in Deutschland hat diesen Begriff die Autorin und Familienexpertin Nora Imlau geprägt und bekannt gemacht. Im Englischen nutzt man die Bezeichnung „spirited children“ und es gibt bereits wesentlich mehr Literatur und Informationen im Netz zu finden als bei uns im deutschsprachigen Raum.
So wussten auch wir als Eltern eines gefühlsstarken Sohnes lange Zeit nicht, was mit unserem Kind los war oder was wir um Himmels willen falsch machten. 🤷♀️🤷♂️
In unserer Verzweiflung wandten wir uns an eine Familientherapeutin, die uns als Hausaufgabe die Bücher/Hörbücher von Nora Imlau empfahl. Und was sollen wir sagen, in den Schilderungen der Autorin von „So viel Freude, so viel Wut“ erkannten wir unseren Sohn wieder!
Endlich fühlten wir uns verstanden. Endlich war da jemand, der uns das Verhaltensphänomen erklärte, das uns alles abverlangt, seit dieses kleine Geschöpf das Licht der Welt erblickt hat.
Wie ist es, ein gefühlsstarkes Kind zu haben und zu sein?
Es ist wie eine Achterbahn der Gefühle und dies den ganzen Tag.
Wir erfreuen uns an einem extrem begeisterungsfähigen Kind, dessen Ausdruck der Freude in einem Moment Funken sprühen und alle Herzen um ihn herum zum Erleuchten bringen kann.
Im anderen Moment kann der allerkleinste Auslöser das hochsensible Gemüt des Kindes jedoch in den tiefsten Keller der Emotionen reißen, aus dem es ohne ausdauernde Begleitung einer Bezugsperson lange Zeit nicht herausfinden kann. Das Wutmonster hält das Kind regelmäßig und oft mehrfach täglich fest in seinen Klauen.
Haben Kleinkinder unter fünf Jahren es schon schwer ihre Gefühle selbst zu regulieren – dies schafft das Gehirn eines Kindes erst ab dem Alter von 5 Jahren – so sind bei gefühlsstarken Kindern diese Regulationsschwierigkeiten noch verstärkt.
Eine Herausforderung für alle.
Für das Kind selbst und sein gesamtes Umfeld.
Alltag mit einem gefühlsstarken Kind
Der Alltag mit einem gefühlstarkem Kind ist kräftezehrend. Die Emotionen einer anderen Person ständig ausgleichen zu müssen, erfordert, die eigenen Batterien zwingend regelmäßig aufzuladen.
Sind meine Batterien leer, so ist nichts mehr zu holen und wir eskalieren zu zweit ohne Sicherheitsgurt.
Es ist, als ob die Nabelschnur nie durchgetrennt worden wäre und die eigenen Reserven ständig „angezapft“ würden.
„Gefühlsstarke Kinder kommen mit einem besonders ausgeprägten Bindungsbedürfnis zur Welt und brauchen überdurchschnittlich viel körperliche Nähe und feinfühlige Rückversicherung, um sich sicher und geborgen zu fühlen“, erklärt es Nora Imlau.
So ist es nicht verwunderlich, dass Eltern eines gefühlsstarken Kindes sich oft völlig vereinnahmt fühlen von dem selbstbestimmten Temperament ihres Kindes. Es ist ein ständiger Spagat, zwischen den Bedürfnissen der einzelnen Familienmitglieder zu jonglieren.
Das ausgeprägte Bedürfnis nach Autonomie und die ständigen Wutanfälle haben uns bereits mehr als einmal dazu veranlasst, einen geplanten Ausflug abzusagen, abzubrechen oder Verabredungen zu vermeiden. Als Eltern hat man keine Kraft mehr und träumt davon ein „einfaches“ ein „normales“ Kind zu haben. Ein Kind, mit dem man eben nicht vom ersten Augenaufschlag morgens schon ein Minenfeld betritt.
Warum der Ausdruck „gefühlsstark“ so schön ist
Der Begriff „gefühlsstark“ rückt eine Stärke in den Mittelpunkt. Es ist kein weiteres Label für einen charakterlichen Mangel, sondern lässt den ersten Blick auf etwas Positives fallen.
Wenn ich an meinen gefühlsstarken Sohn denke, dann sehe ich einen Abenteurer vor mir, jemanden, der mit wehendem Haar allen voran rennend neue Welten entdeckt, der als Astronaut ins Weltall fliegt oder für den Klimaschutz kämpft.
Er hat eine Leidenschaft und eine Begeisterungsfähigkeit, die mitreißen kann. Und sind das nicht die Art von Menschen, die unsere gebeutelte Erde und Weltgemeinschaft so dringend braucht?
Ja, er braucht viel Halt und klare Grenzen. Aber dadurch, dass er unseren Vorgaben nicht blind und gehorsam Folge leistet, zeigt er uns Eltern auch auf, wo wir unnötig viele Grenzen setzen und wo wir selbst unseren Horizont unbedingt erweitern sollten/müssen.
Zum Beispiel, indem wir:
👉 … als Tochter nein zur eigenen Mutter sagen. Und dadurch lernen Verantwortung zu übernehmen für unsere eigenen Entscheidungen, unser eigenes Handeln und unserer Haltung.
👉 … die Kindergarten- oder Schulform wechseln, weil wir feststellen, dass uns das System zu starr geworden ist.
👉 … innerlich spüren, dass wir uns mit unseren eigenen verdrängten Kindheitserfahrungen / Kindheitsverletzungen auseinandersetzen müssen, um für unser gefühlsstarkes Kind überhaupt ein sicherer Hafen sein zu können und dadurch selbst inneres Wachstum erfahren.
👉 … uns nach jedem Tag mit weniger als 20 Neins auf die Schulter klopfen dürfen.
👉 … lernen uns mehr Pausen im Alltag zu erlauben und diese auch nach Außen zu verteidigen.
👉 … aufhören, uns selbst und unser Kind mit anderen zu vergleichen
Der Mythos vom guten Kind und von der guten Mutter
Wie beschrieben strotzt unser Alltag nur so von herausfordernden Situationen und lautstarken Zwischenfällen.
Gesellschaftlich wird ein gefühlsstarkes Kind, dass seinen eigenen Kopf hat, diesen lauthals kundtut und mit aller Konsequenz lebt, was es für richtig hält, nicht als folgsames Kind empfunden.
Dies stresst mich als deutsch sozialisierte Mutter enorm. Denn bei uns ist ein folgsames Kind ein gutes Kind und ein gutes Kind hat demnach eine gute Mutter, einen guten Vater. Ergo bin ich keine gute Mutter. Sind wir nie gut genug. 🤪
Wie oft mir das Blut schon in den Kopf gestiegen ist und ich am liebsten im Erdboden verschwunden wäre. Wie oft ich meinem Sohn schon Einhalt gebieten musste unter geringschätzig oder geschockten Blicken von anderen Leuten, deren Blicke Bände sprachen und mir alle den gleichen Satz zuerst entgegenzuschleudern schienen: „Du hast dein Kind nicht im Griff.“
Es ist hart zu lernen und zu verstehen, dass es entgegen aller Erwartungen eben nicht darum geht „sein Kind im Griff zu haben“, sondern darum, mit ihm auf Augenhöhe zu leben.
Jesper Juul hat dafür den Begriff der „Gleichwürdigkeit“ erfunden. Damit meint er die innere Haltung, dem Kind auf Augenhöhe zu begegnen, seine Bedürfnisse zu achten und gleichzeitig dessen Führung zu übernehmen. Also der Leuchtturm für das Kind zu sein, an dem es sich orientieren kann.
Und warum möchte ich nun mit meinem gefühlsstarken Kind auf Reisen gehen?
Ich möchte den Lebensraum wechseln. Möchte es ausprobieren, wie es uns ergeht, in einem anderen sozialen Umfeld.
In einem Tagesablauf ohne Termine. Ohne „müssen“. Ohne nervige Schneeanzüge und Dauererkältung 😅.
Mich hat es immer schon in die Welt hinaus gezogen und ich liebe das Entdecken und mich Treiben lassen. Eine Leidenschaft, die mein Sohn und ich teilen.
Lian wacht morgens schon auf und fragt mich: „Mama, können wir heute ein Abenteuer erleben?“
„Mama, können wir heute ein Abenteuer erleben?“
Abenteuer erleben bedeutet für ihn, nicht in den Kindergarten gehen zu müssen, seinen kleinen Rucksack zu schultern und mit mir beispielsweise auf den Stadtmarkt zu fahren, um dort die Forellen bei dem kleinen Fischhändler ganz ohne Zeitdruck beobachten zu können.
Dann weiterzuziehen und dem Blumenhändler beim Zusammenkehren, der Blumenerde vor seinem Stand zuzusehen und ihn trocken und nüchtern mit einem Fingerzeig wissen zu lassen: „da liegt noch was.“
Einfach in den Tag hineinzuleben – zu „er-leben“.
Gewiss fordert er ein, wie ein Kind die Welt erfahren zu dürfen. Vielleicht so wie es seiner Art entspricht.
Da ich mich außerstande sehe, ihm dies in unserem Alltag zu Hause aktuell bieten zu können, werden wir unseren Rucksack schnüren und es anderswo versuchen. Mutter sein ist nicht mein Limit. Kind sein auch nicht.
Es ist demnach ein Experiment. Ein Versuch, vor dem ich mit viel Liebe im Gepäck zu 90 % überzeugt bin, dass es gelingen wird. Die anderen 10 % ist die Angst, mit den Gefühlsausbrüchen allein und überfordert zu sein. Anstelle in die Welt hinaus, an die Wand zu fahren.
Aber dennoch, aller Angst zum Trotz, was kann schlimmstenfalls schon passieren?
Ich denke mir, im schlimmsten Fall, treten wir einfach früher als geplant die Heimreise an und denken uns neue Abenteuer aus.
Also alles halb so wild. Auch hier gilt. Alles darf, nichts muss.
Stärke dich selbst!
Mehr zum Thema gefühlsstarke Kinder findest du hier:
➡️ Buchtipp: So viel Freude, so viel Wut*
➡️ Buchtipp: Meine Grenze ist dein Halt*
➡️ Buchtipp: Kinderköpfe ticken anders*
➡️ Podcast: Gefühlsstark – der Elternpodcast
➡️ Familienplaner: Gefühlsstark ist auch eine Stärke*
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